Besonders schlimm ist das in der Kriminalliteratur. Kein Wunder – anglophone Autorinnen und Autoren haben ihre Karrieren oft genug durch Veröffentlichungen in Krimimagazinen begonanen. Dashiell Hammett im Pulp-Magazine zum Beispiel; oder Joe Gores in Alfred Hitchcocks Crime Magazine. Ellery Queen’s Mystery Magazine war ein Sprungbrett für Rex Stout, auch Agatha Christie war sich nicht zu gut, die eine oder andere Story beizusteuern.
Und in Deutschland oder Österreich? Oder gar in der Schweiz? Nada, niente – zwar gab es immer wieder ambitionierte Anläufe, Krimimagazine herauszubringen, aber alle trugen schon bei der Nullnummer den Keim des baldigen Todes in sich.
Gerade rechtzeitig vor Weihnachten, oder Hanukka, oder dem Jahreswechsel, erscheint bei Droemer Knaur Val McDermids Kurzgeschichtenband „Das Mädchen, das den Weihnachtsmann umbrachte“. Die langen Winterabende laden ja dazu ein, zu einem guten Buch zu greifen. Leider weckt der Titel zu sehr den Eindruck, dass es sich um eine Art blutrünstigen Adventkalender handelt. Achtung – Spoileralarm: nur ein Teil der Geschichten handelt von Weihnachten. Eines haben die zwölf Stories gemeinsam: Sie sind brillant konstruiert und immer überraschend.
Val McDermid, 1955 geboren, ist eine der bekanntesten Krimiautorinnen im englischsprachigen Raum. Sproß einer Bergarbeiterfamilie war sie die erste Oxford-Studentin, die von einer öffentlichen Schule aus Schottland den Aufstieg geschafft hatte. Die Figuren ihrer Serien – Lindsay Gordon, Tony Hill, DI Jordan – sind aus der modernen Krimiliteratur nicht wegzudenken. Aus ihrer Biographie erklärt sich, warum (auch in den Kurzgeschichten des jetzt erschienen Sammelbandes) sich immer wieder Anspielungen oder Bezüge auf die englische Zeitgeschichte, wie etwa Margaret Thatchers Vernichtungsfeldzug gegen die Bergarbeitergewerkschaft, finden. Genauso, wie auch die sexuelle Orientierung einiger Protagonistinnen kein Tabuthema darstellt.
Was also wird der geneigten Leserin, dem geneigten Leser hier geboten? Neben „klassischen“ Mordgeschichten und anderem eine originelle Sherlock-Holmes-Geschichte, bei der ich hier kein Wort verrate, außer: Schreibt die Geschichte des 20. Jahrhunderts neu! Eine Story, die auf der kleinen Insel Jura spielt, bekannt für ihren Whiskey – und Eric Blair vulgo George Orwell, der dort bis zu seinem Tod an seinem berühmtesten Werk, „1984“, gefeilt hatte. Gerade die richtige Umgebung, in der sich gebieterisch die Frage stellt: Wer ist so frevlerisch, eine Leiche in einem gefüllten Whiskeyfass zu versenken? Natürlich lernen wir auch das Mädchen kennen, das den Weihnachtmann umbrachte. Eigentlich mehr ein tragisches Missgeschick als ein kaltblütiger Mord – bloß: Wer bringt den Kindern danach die Geschenke? Und dann begegnen wir dem ziemlich widerlichen Keith Corbett, der in einem Kaff das Pub samt Bingo-Halle auf Vordermann bringen will. Angesichts einer Schrotflinte vor dem Gesicht ändert sich jedoch seine Perspektive auf’s Leben gewaltig.
Also: Kaufen Sie dieses Buch, wenn Sie kurzweilige, intelligente und spannende Unterhaltung suchen. Vielleicht bekommen Sie ja auch Lust, die eine oder andere Geschichte bei Ihrer Weihnachtsfeier vorzulesen. Nehmen Sie dann aber Rücksicht auf eventuell zart besaitete Zuhörerinnen und Zuhörer!
Angaben
Val McDermid
Das Mädchen, das den Weihnachtsmann umbrachte
Droemer / 271 Seiten
€ 18,50 (Gebunden)
ISBN 9783426282717
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